Nachbarschaft beschreibt ein enges Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, die ihr Lebensumfeld miteinander teilen. In dem Begriff verbinden sich Sehnsuchtsvorstellungen nach einem guten Nebeneinander und Kritik am Zusammenleben gleichermaßen. Dort wo viele Menschen zusammenleben, sind Konflikte keine Seltenheit. Die möglichen Streitthemen in einer Wohnhausanlage sind dabei so vielfältig wie ihre Bewohnerinnen und Bewohner selbst. Diese Streitthemen werden immer öfter nach außen weitergegeben, es wird nach Lösungen von außen verlangt. Viele Institutionen sind daher tagtäglich mit nachbarschaftlichen Konflikten konfrontiert. Die Initiative zusammen<wohnen< hat sich die Aufgabe gesetzt diese Institutionen in ihrer täglichen Arbeit dabei zu unterstützen und sich für eigenverantwortliche Lösungen durch die Bewohnerinnen und Bewohner einzusetzen.
Seit 2013 ist das Zusammenleben in der Nachbarschaft ein gemeinsamer Schwerpunkt der Ressorts für Soziales, Arbeit und Integration und dem für Wohnbauförderung des Landes Steiermark sowie des Verbandes der gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV) in der Steiermark. Das Servicebüro zusammen>wohnen< möchte mit seinen Aktivitäten dazu beitragen, die Wohn- und Lebensqualität im Wohnumfeld durch die Förderung des Miteinanders nachhaltig zu verbessern. Informationen zum Servicebüro und seinen Leistungen finden Sie hier. www.zusammenwohnen.steiermark.at
Eine funktionierende Nachbarschaft ist von großem Wert für alle. Die bisherigen Erfahrungen und die erarbeiteten Inhalte wollen wir daher auch allen zugänglich machen. Hier geben wir Einblicke in die bisherige Arbeit und wollen Überlegungen zum Zusammenleben in der Nachbarschaft mit Ihnen teilen. Resümees aus dieser Arbeit sind für alle wichtig, die am Zusammenleben in der Wohnanlage mitarbeiten wollen und einen Beitrag leisten möchten.
Das Servicebüro zusammen >wohnen<
Christina Trattner und Janosch Hartmann
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Initiative zusammen>wohnen<
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Der nachbarschaftliche Konflikt
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Engagierte Nachbarschaften
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Nachbarschaftsbarometer
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Karikaturen als deeskalierende Darstellung
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Einzugsbegleitung
In der Steiermark wird seit 2013 ein gemeinsamer Weg zur Verbesserung des Zusammenlebens im Wohnumfeld beschritten. Die Steiermärkische Landesregierung kooperiert mit der GBV Landesgruppe Steiermark, um Maßnahmen für ein besseres Miteinander im Wohnumfeld zu entwickeln und umzusetzen. Auf Basis der Charta des Zusammenlebens in Vielfalt, einem ressortübergreifenden Positionspapier zur Gestaltung des Miteinanders in der Gesellschaft, wurde die Lebenswelt
Wohnen als Schwerpunkt benannt. Integration und Zusammenleben werden als Querschnittsthemen aufgefasst und damit zur gemeinsamen Aufgabe von Politik, den Institutionen und nicht zuletzt den Menschen selbst.
Als Mitglied der Integrationspartnerschaft ist die GBV Landesgruppe Steiermark gleichberechtigter Partner der Initiative zusammen>wohnen<, die von den Landesressorts für Integration und Wohnbau ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam wird über das Servicebüro zusammen>wohnen< an mehreren Handlungsfeldern gearbeitet, um das Zusammenleben im Wohnumfeld zu unterstützen.
Um einem Vorhaben wie der Verbesserung des Zusammenlebens in Vielfalt näherzukommen, ist eine Maßnahme alleine zu wenig. Vielmehr braucht es ein Bündel an Maßnahmen, die sich in folgende vier Handlungsfelder untergliedern.
Bewusstseinsbildung – Sensibilisierung
Die Begriffe „Wohnen“ und „Nachbarschaft“ erzeugen in unseren Köpfen zahlreiche Bilder. Wir alle wohnen, ob als Single oder im Familienverbund, in einem Haus, in einer Wohnsiedlung oder in einem Heim, ob als proaktive Nachbarin und proaktiver Nachbar im Stadtteil bzw. in einer Dorfgemeinschaft oder als passive Bewohnerin und passiver Bewohner, dem ein nachbarschaftliches Miteinander nicht wichtig ist. Daher hat jede und jeder auch eine Vorstellung davon, was Wohnen ausmacht, welche Verhaltensweisen Nachbarinnen und Nachbarn zustehen und wie man sich selbst konform in der Gemeinschaft bewegt.
Die Erwartungen an Nachbarschaft sind dabei höchst verschieden. Es kommt besonders dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, zu einem Aufeinanderprallen dieser Bilder. Dort, wo die Menschen ohne einen aktiven Austausch widersprüchlich Tür an Tür leben. Die Bruchstellen der Bilder treten dann bei einem Konflikt zu Tage.
Häufig wird verdrängt, was es bedeutet, mit Nachbarinnen und Nachbarn auf engem Raum zu leben. Umso ungläubiger steht man vor der Situation, die Fernseher der Nachbarinnen und Nachbarn, ihre Duschen oder gar ihre Gespräche zu hören, befindet man sich doch in den eigenen vier Wänden, abgeschlossen und selbstbestimmt. Pointiert lassen sich die „eigenen vier Wände“ in einer Wohnhausanlage als das größte Missverständnis im Wohnen bezeichnen, das ursächlich für zahlreiche Konflikte unter den Bewohnerinnen und Bewohner ist. Denn die „eigenen vier Wände“ sind zugleich auch die Wände der Nachbarinnen und Nachbarn.
Dabei hat das Leben in Wohnhausanlagen auch sehr viele positive Aspekte: Die Möglichkeiten eines Kinderspielplatzes sind oft vielfältiger als die Spielgelegenheiten im eigenen Garten. Gut funktionierende Nachbarschaften helfen sich gegenseitig und passen aufeinander auf. Notwendige bauliche Arbeiten, zB Sanierungen, werden von einer Gemeinschaft und nicht von einem alleine getragen. Mit den Hausverwaltungen stehen kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Anliegen des Hauses zur Verfügung. Und vor allem: Durch den Geschossbau wird leistbarer Wohnraum für eine breite Mehrheit überhaupt erst möglich.
Um das Bild von Nachbarschaft und Wohnen im Geschossbau zu schärfen und positiv zu besetzen, sind mehrere bewusstseinsbildende Maßnahmen notwendig, die ineinandergreifen.
Konfliktintervention
Das Zusammenleben in Vielfalt stellt Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnhausanlagen vor ständige Herausforderungen. Gerade im Geschossbau leben Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen Tür an Tür und Wand an Wand nebeneinander. Eine gute Nachbarschaft zeichnet sich durch eine gelingende Aushandlung dieser unterschiedlichen Bedürfnisse aus: In manchen Momenten führt die Gegenüberstellung der eigenen und fremden Bedürfnisse dazu, Rücksichtnahme vom Gegenüber einzumahnen, in anderen Fällen fällt es leichter, tolerant gegenüber den Nachbarinnen und Nachbarn zu sein.
Gelingt die Aushandlung nicht, wird das Problem offensichtlich: Im nächsten Wohnumfeld können Konflikte rasch eskalieren. Die Nähe erlaubt kein Ausweichen, das Störende ist ständig präsent. In diesem Umfeld spielt der private Charakter des Wohnens eine große Rolle: Privat ist, was schützenswert ist. In dem Moment, wo die Privatheit durch den durchdringenden Lärm des Fernsehers von nebenan oder vom Springen in der Wohnung darüber angegriffen wird, fallen die Reaktionen mitunter heftig aus. Der richtigen Aushandlung der Bedürfnisse im Konfliktfall kommt somit zentrale
Bedeutung zu.
Wenn es zu Konflikten kommt, ist häufig eine professionelle Konfliktregelung notwendig. Dabei ist es wichtig, die Hausverwaltung in ihrer Rolle zu stärken und die Eigenverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner einzufordern. Das Servicebüro zusammen>wohnen< bietet Instrumente für solche Konfliktregelungen an.
Konfliktprävention
Am besten wäre es natürlich, wenn Konflikte gar nicht erst entstehen. Meist führt ein direktes Gespräch in der Anfangsphase eines Streits bereits zu einer raschen Lösung. Dafür ist es aber notwendig, dass sich die Menschen in einer Nachbarschaft kennen und leicht ins Gespräch kommen können. Genau hier aber liegt eine Ursache des Problems: Gerade in urbanen Räumen werden Kontakte in der Nachbarschaft als wenig wichtig erachtet.
Um Beispiele gelungener Kommunikation in der Nachbarschaft aufzuzeigen und zur Nachahmung anzuregen, wurde das Handbuch „Engagierte Nachbarschaften – Tipps fürs Miteinander“ herausgegeben. Dieses wird an Gemeinden und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Steiermark verteilt, um auf die Vorteile aktiver Nachbarschaft aufmerksam zu machen. Es gibt viele positive Beispiele von funktionierenden Nachbarschaften, die aber selten sichtbar werden. Im Handbuch sollen einige davon weitergetragen werden.
Die Einzugsphase in einer Wohnanlage bietet sich für präventive Maßnahmen an. Einerseits sind die Menschen in dieser Phase motiviert, sich mit dem eigenen Wohnen auseinanderzusetzen, wofür sich viele Gelegenheiten bieten, andererseits ist der gemeinsame Einzug in eine Wohnanlage der erste „Stresstest“ für die Nachbarschaft. Durch Informationsveranstaltungen und rasche Problemlösungen können die Bewohnerinnen und Bewohner früh unterstützt werden, sich in ihrer neuen Nachbarschaft zurecht zu finden. Die Wohnbauträger unterstützen diesen Prozess mit Übergabeprozedere. Diese ermöglichen ein gegenseitiges Kennenlernen und machen auf häufige Probleme in dieser Zeit für die Nachbarschaft aufmerksam.
Netzwerkarbeit
Das Zusammenleben ist eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe,die nicht von einzelnen Institutionen alleine sichergestellt werden kann. In der Lebenswelt Wohnen gibt es eine Vielzahl von Organisationen, die sich mit Aspekten des Zusammenlebens beschäftigen. Um Synergien dieser Organisationen auszuloten und nutzbar zu machen, ist die Netzwerkarbeit ein wichtiger Handlungsstrang für die Bemühungen um ein besseres Miteinander.
In regelmäßigen Netzwerktreffen, die in der Steiermark stattfinden, werden aktuelle Themen des Zusammenwohnens mit Expertinnen und Experten von außen diskutiert. Die Ergebnisse werden gesichert und den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren zur Verfügung gestellt. Über eine Bundesarbeitsgemeinschaft für Sozialraumentwicklung (BASE) stellt das Servicebüro auch bundesländerübergreifende Synergien her. Die durchwegs ähnlichen Problemlagen in anderen Landesteilen bieten die Chance, Erfahrungen zu bündeln und für das eigene Tun nutzbar zu machen.
Die Wohnungsunternehmen können zwar nicht die Verantwortung für das Zusammenwohnen der Menschen übernehmen, in einem konstruktiven Umfeld sind sie aber in der Lage, einen wertvollen Beitrag zu leisten. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, den politischen Zuständigen und nicht zuletzt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern ist es möglich, wirksame Strategien zur Verbesserung des Zusammenlebens umzusetzen. Dafür ist es wichtig, gemeinsame Zeichen zu setzen, um sich der Herausforderung zu stellen.
nächster passender BeitragDas Steirische Nachbarschaftsbarometer
Um diesen Widersprüchen in der Nachbarschaft nachzugehen, wurde 2014 eine Befragung durchgeführt und im ersten Steirischen Nachbarschaftsbarometer präsentiert. Die Studie wurde von der Agentur Marketagent.com durchgeführt, 549 Personen in der Steiermark wurden in diesem Zuge zu Themen der Nachbarschaft befragt. (marketagent.com 2014: Das Steirische Nachbarschaftsbarometer nachzulesen auf www.soziales.steiermark.at) Dabei zeigte sich nicht nur, wie verbreitet das anonyme Nebeneinander in Nachbarschaften mittlerweile ist, sondern auch eindrucksvoll die Konsequenzen für die Wohnungswirtschaft.
In der Steiermark gaben knapp 58% der 550 Befragten an, nur wenig bis keinen Kontakt zu den Nachbarinnen und Nachbarn zu pflegen, im sozialen Wohnbau der Genossenschaften und Gemeinden waren es sogar über 70% (siehe Grafik oben). Der Kontakt selbst scheint nicht ausschlaggebend für die Zufriedenheit mit der Nachbarschaft zu sein. In derselben Umfrage gaben über 90% der Befragten an, dass in ihrer Nachbarschaft die Menschen sehr gut oder eher gut miteinander auskommen.
Gründe für den geringen Kontakt werden viele genannt. Als wichtigsten Grund gaben die Befragten an, dass im Alltag kaum Zeit bleibe und die Leute lieber alleine sein wollen. Auch würden sich häufig gar nicht die Situationen zum kurzen Plausch bieten, dafür treffe man sich zu selten auf der Straße oder vor dem Haus. In den Sozialwissenschaften wird die Individualisierung der Gesellschaft seit langem diskutiert und ist als soziale Tatsache weitgehend anerkannt.
Neben der Pluralisierung der Lebensstile sind es im Kosmos der Nachbarschaft vor allem die Möglichkeiten der Mobilität und Kommunikationstechnologien, die einen direkten Kontakt mit den Nächsten, den Nachbarinnen und Nachbarn, obsolet machen. Soziale Beziehungen können virtuell gepflegt, Freundschaften über weite Strecken gelebt und selbst das Familienleben auf unterschiedlichen Standorte verteilt werden.
Das weitgehend anonyme Nebeneinander in Nachbarschaften stellt für sich noch kein Problem dar. Das Zusammenleben auf engem Raum erfordert jedoch viele Kompromisse. Gerade wenn es um die Aushandlung unterschiedlicher Bedürfnisse geht, kann ein klärendes Gespräch nur schwer ersetzt werden.
Im Nachbarschaftsbarometer wurde danach gefragt, wie Konflikte in der Nachbarschaft gelöst werden. Trotz der Möglichkeit von Mehrfachantworten ist auffällig, dass im sozialen Wohnbau viele Menschen den Weg über ihre Hausverwaltung gehen, wenn es zu Konflikten in ihrer Nachbarschaft kommt (siehe Grafik rechts unten). Diese Delegation von Nachbarschaft führt dazu, Konflikte weiter eskalieren zu lassen. Eine Hausverwaltung kommt in vielen Beschwerdepunkten ihrer Hinweispflicht nach und informiert über mögliches Fehlverhalten im Zusammenleben. Sie ist nicht dafür zuständig, Konflikte zu mediieren oder mögliche Hintergründe eines Konflikts zu beleuchten. Zur Konfliktbereinigung ist aber gerade dieser Schritt oft notwendig.
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Hausverwaltungen nehmen als Anlaufstelle für nachbarschaftliche Konflikte eine zentrale Rolle für eine nachhaltige Lösungsfindung ein. Die Vorgaben in Gesetzen und Verordnungen liefern dabei nur wenige Anhaltspunkte. Während Themen wie Mietzinsbildung, Aufgaben einer ordentlichen und außerordentlichen Verwaltung, Betriebskostenabrechnung oder die Vorgaben zur Brauchbarmachung detailliert beschrieben werden, scheint der Umgang mit nachbarschaftlichen Konflikten in der Arbeit einer Hausverwaltung nicht vorgesehen. Auch in den Lehrplänen klassischer Verwaltungsausbildungen finden sich wenige Inhalte, die im Fall eines nachbarschaftlichen Konflikts herangezogen werden können. Nichtsdestotrotz ist das Thema quer durch die Hausverwaltungen aktuell. Von Seite der Hausverwalterinnen und Hausverwalter wird vielfach eine Steigerung der Fälle beschrieben, in denen eine Lösung eines nachbarschaftlichen Konflikts durch sie gefordert wird. In mehreren Interviews, die das Servicebüro zusammen>wohnen< im November 2013 mit Hausverwalterinnen und Hausverwaltern in der Steiermark geführt hat, gaben die Interviewten an, dass der Spagat zwischen kundenorientierter Dienstleistung und den Aufgabenstellungen abseits des vorgesehenen Tätigkeitsfeldes immer größer werde. Das käme am deutlichsten in der Bearbeitung sozialer Konflikte zum Vorschein.
Problembeschreibung
Daher empfiehlt es sich, zunächst einen Blick darauf zu werfen, worin das konkrete Problem für eine Hausverwaltung besteht, wenn ein Konflikt an sie delegiert wird. Eine Hausverwaltung ist mit nachbarschaftlichen Konflikten häufig als erste Instanz konfrontiert. Eine Lösung wird von ihr eingefordert, sie selbst ist aber in der Position des außenstehenden Dritten. Die Verantwortung wird somit an eine unbeteiligte Partei weitergereicht. Dieses Delegationsprinzip beschreibt die klassische Form der Konfliktlösung, auf der auch unsere Rechtsprechung beruht. Die Institution Gericht entscheidet bei einem Streit, welche Partei das Recht auf ihrer Seite hat und wie eine Lösung aussehen soll. Dieses Prinzip kann historisch als zivilisatorischer Fortschritt beschrieben werden. Schließlich waren die Konfliktlösungsstrategien in früheren Zeiten auf wenig attraktive Muster beschränkt: Flucht, Unterwerfung oder Vernichtung.
Neben der Problematik, in einen Konflikt als „Dritter vonaußen“ hineingezogen zu werden, ist es schwierig eine Lösung herbeizuführen, wenn es zu keiner Konfliktklärung der beteiligten Parteien selbst kommt. Die Grafik oben soll das verdeutlichen. Durch die zeitversetzten Kommunikationslinien, die stets am Konflikt vorbeiführen, entstehen weitere Missverständnisse, die ihrerseits einer Klärung bedürfen. Das Delegationsprinzip scheint daher für die vielen kleineren Konflikte des Nachbarschaftsalltags ungeeignet. Die Delegation solcher Konflikte an eine Hausverwaltung birgt zudem weitere Probleme:
- Eine Hausverwaltung lebt nicht im Konfliktumfeld und ist in den seltensten Fällen gerade dann vor Ort, wenn der Konflikt ausgetragen wird. Dadurch ergibt sich für eine Hausverwaltung ein permanentes Informationsdefizit, das nur mühsam ausgeglichen werden kann.
- Lösungen, die von außen herbeigeführt werden, wirken weniger nachhaltig, als wenn sie von den streitenden Parteien selbst kommen.
- Die Möglichkeiten für eine Hausverwaltung sind bei Verstößen gegen die Hausordnung mietrechtsgesetzlich beschränkt. Um etwa eine Kündigung aufgrund unleidlichen Verhaltens durchzusetzen, ist ein langwieriger gerichtlicher Weg von Nöten, der die Gefahr birgt, für die klagende Partei verloren zu gehen.
- Gerade bei höchst persönlichen Konflikten ist die Gefahr für eine Hausverwaltung groß, hineingezogen zu werden. Durch die Rollen einer Hausverwaltung als Eigentümervertretung und kundenorientierter Dienstleisterin mit Blick auf die Gemeinschaft und das Objekt kann eine Verwaltung rasch selbst zur Konfliktpartei werden.
Der Lösungsansatz
Diese Nachteile können nur mühsam ausgeglichen werden, wenn das Konfliktmanagement einer Hausverwaltung die Verantwortung für die Lösung des Konflikts nicht an die streitenden Parteien zurück gibt und gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern Lösungen erarbeitet. Neben Angeboten zur klassischen Streitschlichtung ist das vor allem eine kommunikative Aufgabe. Das Spannungsfeld von Abgrenzung und Unterstützung ist dabei von zentraler Bedeutung. Diese Abgrenzung beginnt bereits im Werbeauftritt des Unternehmens und setzt sich bei jedem Kundenkontakt fort. Falsche Rollenverständnisse können Konflikte unnötig verkomplizieren, hingegen können konkrete Angebote wie Streitschlichtung dabei helfen, einen Rahmen abzustecken, bis zu dem eine Hausverwaltung Unterstützungsleistungen anbieten kann.
Im Jahr 2014 wurden gemeinsam mit dem Grazer Büro für Frieden und Entwicklung Qualitätsstandards für Konfliktregelungen in Nachbarschaften erarbeitet und ein Servicepool für Konfliktregelungen mit Mediatorinnen und Mediatoren in der Steiermark aufgebaut. Die Leistungen des Servicebüros zusammen>wohnen< richten sich dabei an gemeinnützige Hausverwaltungen und Gemeinden, die eine Konfliktregelung beauftragen können.
Die Arbeitsweise des Servicebüros orientiert sich an den vorangestellten Grundüberlegungen. Die Konfliktparteien werden angehalten, sich in Gesprächen mit ihrer Nachbarschaft auseinanderzusetzen, die Bedürfnisse werden ausgesprochen und gemeinsam verhandelt. Allfällige dritte Institutionen, die in den Konflikt hineingezogen worden sind, müssen ihre Handlungsfähigkeit durch Abgrenzung wiedererlangen. Dabei unterstützt das Servicebüro mit dem Servicepool für Konfliktregelung und Moderation, ein Pool an Mediatorinnen und Mediatoren, die im Bedarfsfall weitervermittelt werden.
Arbeitsprinzipien in der Konfliktregelung
Die Qualitätskriterien wurden in einem gemeinsamen Prozess im Jahr 2014 mit dem Friedensbüro Graz erarbeitet, das u.a. für Konfliktberatung und -vermittlung bei Wohnraumkonflikten in Mehrparteienhäusern der Stadt Graz zuständig ist.
Freiwilligkeit
Die Konfliktregelung ist als Angebot einer Hausverwaltung oder einer Gemeinde an Bewohnerinnen und Bewohner konzipiert, die an einer konstruktiven Konfliktlösung interessiert
sind. Die Entscheidung an einer solchen teilzunehmen, obliegt den Konfliktparteien selbst. Der Prozess ist im Rahmen gültiger Gesetze und Verträge ergebnisoffen und kann von allen Beteiligten jederzeit abgebrochen werden. Durch die Dokumentation entsteht eine Verbindlichkeit der getroffenen Vereinbarungen.
Allparteilichkeit
Alle Konfliktparteien der zur Bearbeitung übernommenen Fälle werden in den Konfliktlösungsprozess eingebunden. Die Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten werden gehört und sichtbar gemacht. Die Konfliktparteien werden dazu angehalten, sich mit den Bedürfnissen und Interessen der anderen auseinanderzusetzen, um einen gemeinsamen Lösungsprozess zu fördern. Benachteiligungen durch Sprache, Artikulation, bauliche Barrieren, Gesundheit etc. werden bestmöglich versucht auszugleichen. Das Servicebüro bzw. die Mediatorinnen und Mediatoren des Servicepools achten dabei auf Ausgewogenheit in Zeit und Darstellung der Konfliktparteien.
Vertraulichkeit
Die Inhalte der Konfliktregelung werden vom Servicebüro vertraulich behandelt, sofern sie nicht gegen Gesetze oder Verträge verstoßen. Die Protokollierung ergeht an die Auftraggeberinnen und Auftraggeber und die Konfliktparteien. Personenbezogene Daten scheinen in den Tätigkeitsberichten nicht auf.
Transparenz
Mit Beginn der Konfliktregelung wird auf einen gleichen Wissensstand aller Beteiligten geachtet. Das Ziel der Konfliktregelung wird kommuniziert und auf die Arbeitsweise hingewiesen. Prozesse, die zeitgleich mit der Konfliktregelung ablaufen (z.B. Gerichtsverfahren), müssen von den Beteiligten zu Beginn benannt und kommuniziert werden.
Lösungsorientierung
Das Ziel einer Konfliktregelung ist eine gemeinsame Vereinbarung der Konfliktparteien, wie Probleme zukünftig vermieden bzw. selbstständig ausgehandelt werden können. Die Erörterung der Konfliktgründe dient der Themensammlung, Aufgabe der Moderation ist es im Anschluss, Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Um diese Lösungen zu erarbeiten, ist ein gegenseitig respektvoller Umgang notwendig und wird von allen Beteiligten eingefordert.
Prozessoffenheit
Abgesehen von Gesetzen und Verträgen werden Lösungsansätze durch keine Vorgaben gesteuert. Die Gestaltung des Prozesses obliegt dem Servicebüro bzw. den Mediatorinnen und Mediatoren des Servicepools.
Niederschwelligkeit
Es ist keine Kostenbeteiligung durch die Konfliktparteien vorgesehen, Zeit und Ort der Termine werden so gestaltet, dass sie für alle Konfliktparteien möglich sind.
Leistungen
Konfliktberatung
Gemeinnützige Hausverwaltungen oder Gemeinden sind mit nachbarschaftlichen Konflikten konfrontiert und suchen beim Servicebüro zusammen>wohnen< um Unterstützung an. In einem ersten Schritt wird eine Konfliktberatung durch das Servicebüro angeboten. Hierbei wird geklärt, welche Lösungswege möglich sind, welche Ansprechpersonen es in den jeweiligen Regionen gibt und welche Unterstützungsangebote (Konfliktregelung oder Moderation) in Frage kommen. Die Beratung erfolgt unverbindlich und mit anonymisierten Daten, das Servicebüro erhält somit keine Daten, die auf eine bestimmte Person schließen lassen.
Gemeinsame Erstabklärung durch Servicebüro
Nach erfolgter Beauftragung wird von der Hausverwaltung bzw. der Gemeinde ein gemeinsamer Termin zur Erstabklärung mit den Konfliktparteien und dem Servicebüro koordiniert. In dieser ersten Abklärung stehen die Vorstellung der Konfliktregelung, ihrer Arbeitsweise und die Themensammlung im Mittelpunkt. Ist die Bereitschaft erkennbar, kann an den Lösungen und Vereinbarungen gearbeitet werden.
Mediation
Stellt sich in der Erstabklärung heraus, dass für die Konfliktregelung mehrere Sitzungen benötigt werden, wird eine Mediation vorgeschlagen. In diesem Fall wird eine Mediatorin oder ein Mediator aus dem Servicepool von der Hausverwaltung oder der Gemeinde mit der Konfliktregelung beauftragt. Das Servicebüro übernimmt eine koordinierende Funktion und finanziert den Einsatz mit 25% der Auftragssumme. Die Hausverwaltung lädt hierfür zu einem Gespräch mit den Konfliktparteien sowie den Mediatorinnen und Mediatoren ein. Diesem Gespräch dient die Themensammlung aus der Erstabklärung als Unterlage zur Bearbeitung der einzelnen Konfliktthemen. Die Mediation und ihre Verrechnung erfolgt auf Basis bereits getroffener Rahmenvereinbarungen mit den Mediatorinnen und Mediatoren des Servicepools.
Vereinbarung
Das Protokoll der Erstabklärung bzw. der Mediation wird vom Servicebüro bzw. den Mediatorinnen und Mediatoren des Servicepools verfasst und an die Auftraggeberin und den Auftraggeber verschickt. Vereinbarungen aus diesem Protokoll werden von der Auftraggeberin und dem Auftraggeber an die Konfliktparteien versendet.
Dokumentation
Pro Fall ist ein Tätigkeitsbericht laut Formular abzulegen. Dieser verbleibt im Servicebüro und dient der statistischen Auswertung der Konfliktfälle.
Das Servicebüro zusammen>wohnen< hat sich für die Karikatur entschieden um eine deeskalierende Darstellung von häufigen Problemen umzusetzen. Die Karikaturen sollen zur Rücksichtnahme auffordern und Bewusstsein schaffen für unterschiedliche Bedürfnisse, die gleichberechtigt Wand an Wand leben. Die Themen der Karikaturen sind rund um die häufigsten Nachbarschaftskonflikte angesiedelt.
Bei drei Workshops mit Hausverwalterinnen und Hausverwaltern in der Steiermark wurden diese Themen der Nachbarschaftskonflikte gesammelt. Die Probleme in Wohnanlagen sind sehr ähnlich und unterscheiden sich nicht wesentlich zwischen städtischen oder ländlichen Regionen. Rund um die häufigsten Konfliktthemen wurden insgesamt 18 Karikaturen entwickelt und vom Karikaturisten Alfred Zettler gezeichnet. Die fünf häufigsten Konfliktthemen sind:
• Ablagerungen im Haus
• Tiere in der Wohnanlage
• Lärm in der Wohnanlage
• Müllentsorgung
• Gegenseitige Einwirkungen
Einsatz der Karikaturen
Die Karikaturen wurden in erster Linie für „Themen-Folder“ verwendet. Der Themen-Folder ist ein deeskalierendes Instrument für die Hausverwaltung, das bei einer Beschwerde an die Bewohnerinn und den Bewohner weitergegeben werden kann.
Warum das Format Folder?
Die Anforderung an das Format war, dass es für die Hausverwaltung als gute Ergänzung in ihren Arbeitsabläufen funktioniert. Der Folder kann einem Brief der Hausverwaltung beigelegt werden. Der Brief ist in den meisten Fällen unumgänglich und notwendig, um formell auf Missstände zu verweisen. Zusätzlich funktioniert der Folder als präventives Informationsmaterial, das beim Einzug oder bei Versammlungen mitgegeben werden kann.
Weitere Anwendungsformen
Einzelne Karikaturen werden in Kundenzeitschriften der gemeinnützigen Bauvereinigungen und Gemeindezeitungen gerne verwendet, um auf aktuelle Probleme aufmerksam zu machen.
Der Aufbau der Folders ist gekennzeichnet von kurzen, informativen Texten und den Karikaturen als Hauptaugenmerk. Dazu kommen Tipps und Hinweise, Infos zum Thema in der Rubrik „Wussten Sie schon…“. Die Einfachheit der Sprache ist ein wichtiges Kriterium, um Informationen gut transportieren zu können. Die Botschaften wenden sich an Bewohnerinnen und Bewohner im mehrgeschossigen Wohnbau die zur Rücksichtnahme aufgefordert werden sollen.
Das Format und die Umsetzung wurden vom „Kinderbüro der Lobby für Menschen ab 14“ durch Fokusgruppen mit Kindern und Erwachsenen überprüft. Ein Auszug aus den Ergebnissen der Fokusgruppen: leichte Verständlichkeit, Bilder sagen bereits alles, Tipps sind wichtig, Übersetzung in andere Sprachen. Manche sehen es als überflüssiges Format, andere finden es eine gelungene Umsetzung und würden es noch weiter verwerten. Die Folder wurden den Hausverwaltungen der gemeinnützigen Bauträger und Gemeinden vorgestellt und ihnen kostenfrei zur Verfügung gestellt. In zwei Jahren wurden rund 16.000 Folder nachgefragt.
Auch der Bedarf den Folder online zu verwenden wurde sichtbar, als einige Wohnbauträger den Folder eingescannt und online gestellt haben. Vermehrt haben sich Anfragen für die Verwendung in Kunden- und Gemeindezeitungen ergeben. Hier werden die Karikaturen mit oder ohne dazugehörigen Text als Aufhänger für Themen wie „Mülltrennung“ oder allgemein nachbarschaftliches Zusammenleben verwendet und dadurch auch einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht. Zusätzlich zu den Foldern wurden „Tipps für die Nachbarschaft“ mit den Karikaturen aufbereitet, die auf der Website zum Download zur Verfügung stehen.
Die Idee der Karikatur konnte somit auf unterschiedliche Arten zum Einsatz kommen. Sie funktioniert als Werkzeug der Kommunikation, das einerseits auf wichtige Themen verweisen kann, aber gleichzeitig nicht anklagend, sondern sogar entschärfend wirkt. Auch in Hausordnungen finden Karikaturen ihren Einsatz. Ein Beispiel dafür ist die Hausordnung der Wohnbaugruppe Ennstal, in der ebenfalls die Karikaturen von Alfred Zettler Verwendung finden.
nächster passender BeitragEin wesentliches Ziel der Maßnahmen des Servicebüros ist es die Eigenverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner zu stärken, sodass Konflikte soweit möglich innerhalb der Nachbarschaft besprochen werden können. In vielen Nachbarschaften in der Steiermark wird es genauso gelebt, viele Bewohnerinnen und Bewohner engagieren sich und übernehmen Aufgaben zum Gemeinwohl. Diese positiven Bilder von Nachbarschaften gilt es weiterzutragen. Zugleich braucht nachbarschaftliches Engagement einen Rahmen, damit es gut funktionieren kann. Wie dieser aussehen kann, wurde durch die Begleitung von Nachbarschaftsaktivitäten quer durch die Steiermark erfahren. Tipps und Infos rund um Nachbarschaftsaktivitäten werden mit dem Handbuch „Engagierte Nachbarschaften“ weitergetragen. Als Anreiz und Hilfestellung für weitere Aktivtäten wird das Handbuch zur Verfügung gestellt.
Für ein funktionierendes Zusammenleben in der Wohnanlage sieht man oft die Lösung darin, dass sich eine oder mehrere Personen um das Zusammenleben vor Ort bemühen – eine Mischung aus guter Seele und Ordnungswacht. Früher wurde diese Rolle den Hausbesorgerinnen und -besorgern, die vor Ort lebten, zugeschrieben. Sie sorgten nicht nur für Sauberkeit und Ordnung in der Wohnanlage, sondern waren auch vermittelnd tätig.
Heute ist diese Funktion Reinigungsfirmen und Hausbetreuungen gewichen, die meist selbst nicht in der Wohnanlage leben. Der Leistungsumfang umfasst dabei keine soziale Vermittlung innerhalb der Nachbarschaften. Mit einer großen Selbstverständlichkeit arbeiten aber viele einzelne Bewohnerinnen und Bewohner unermüdlich, um die Lebens- und Wohnqualität in der eigenen Wohnanlage zu verbessern. Auch wenn sie außerhalb der Nachbarschaft schwer erfassbar sind, möchte das Servicebüro ihr Engagement sichtbar machen. Es gibt viele engagierte Einzelpersonen in den steirischen Nachbarschaften, auch wenn sie nicht gut erfassbar und sichtbar sind. In Initiativen wie dem Projektefonds des Integrationsressort des Landes Steiermark zeigen auf, wie engagiert die Menschen im Land für ein besseres Miteinander eintreten. Durch eine Mikroförderung bis € 1.000,– wurden diese ansonsten unsichtbaren Tätigkeiten nachhaltig unterstützt und kamen ins Gespräch. Viele Nachbarschaftsinitiativen konnten gerade dadurch gestartet werden.
Die Bewohnerinnen und Bewohner engagieren sich in Form von Nachbarschaftshilfe (Blumen gießen, Einkäufe mitbringen, Zeitung wegräumen u. Ä.), schließen sich mit anderen als Mieterbeiräte, Siedlungsausschüsse oder Interessensgemeinschaften zusammen oder organisieren die Pflege der Außenanlagen selbstständig. Dieses Engagement braucht einen förderlichen Rahmen, um längerfristig bestehen zu können. Wie die Unterstützung von Engagement in der Nachbarschaft aussehen kann, haben wir uns genauer angesehen.
Nachbarschaftsaktivitäten
Das Engagement der Bewohner unterstützen
Über Gemeinwesenarbeit oder Initiativen der Kommunen können Nachbarschaftsaktivitäten gut angeregt werden. Nachhaltige und wohnortspezifische Aktivitäten können und sollen vor allem von den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst initiiert werden. Gemeinsame Aktionen in der Nachbarschaft haben ein großes Potenzial, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Die Nachbarschaft verbindet die Bewohnerinnen und Bewohner miteinander. Nichtsdestotrotz können auch die besten Absichten zu Konflikten führen. Um derlei Konflikten vorzubeugen, ist die Unterstützung mit Wissen, Kompetenz und Begleitung besonders hilfreich. Nachbarschaftsaktivitäten erfordern eine gute und rechtzeitige Information der Bewohnerinnen und Bewohner als auch der Hausverwaltung sowie die Einbindung und Beteiligung aller Bewohnerinnen und Bewohner unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse. Dann werden sie als gleichberechtigt ernst genommen, haben die Möglichkeit, ihre Kreativität und ihr Engagement einzubringen und Ideen im Rahmen des Gestaltbaren umzusetzen.
Experten für das Zusammenleben in ihrer Wohnanlage
In gemeinsamen Nachbarschaftsinitiativen können unterschiedlichste Themen bearbeitet werden. Es ist wichtig, die eigene Nachbarschaft gut zu kennen und die Aktionen an sie anzupassen. Was in der jeweiligen Nachbarschaft funktioniert, entscheiden nur die Bewohnerinnen und Bewohner selbst. Dafür braucht es Nachbarinnen und Nachbarn, die Verantwortung übernehmen und die Bedürfnisse der anderen mitdenken.
Engagement bedeutet Zeit zu investieren!
Einige Bewohnerinnen und Bewohner sind als Schlüsselpersonen so mancher erfolgreicher Aktivität zu sehen. Sie investieren freiwillig Zeit in die Nachbarschaft. In der Umsetzung von Aktionen sind sie bis zu 20 Stunden im Monat für die Nachbarschaft tätig (Rückmeldung aus den Nachbarschaftsaktivitäten 2014). Wichtig ist daher eine gute Einschätzung im Vorhinein, ob eigene Zeitressourcen dafür zur Verfügung stehen und die Zeitinvestition als persönliche Bereicherung gesehen wird.
Förderliche Rahmenbedingungen
Zugleich hängt es nicht ausschließlich an einer Person und ihren Ressourcen, sondern auch an Ideen und Überlegungen wie Aktionen umgesetzt werden können. Hilfreiches für die Umsetzung von Nachbarschaftsaktivitäten ist:
- Kerngruppe von zwei bis drei Personen, mit denen man zusammenarbeiten kann
- Aufgabenverteilung: Organisation nicht alleine schultern
- Persönliche Einladung soweit wie möglich
- Attraktive Gestaltung von Nachbarschaftsaktivitäten (Bsp. Gewinnspiel, Nachbarschafts-Buffet – jede/jeder bringt etwas Eigenes mit)
- Fördergelder und Sponsoring in Anspruch nehmen und somit Transparenz für die Nachbarinnen und Nachbarn schaffen
- Unterstützung und Austausch auch mit Außenstehenden (Aktivitäten nachbesprechen)
- Durchhaltevermögen und an guten Ideen dranbleiben und sie durchsetzen
Themenbezogene Nachbarschaftsaktivitäten
Nachbarschaftsaktivitäten funktionieren besonders dann gut, wenn ein gemeinsames Thema im Mittelpunkt steht. Über die gemeinsame Bearbeitung dieser Themen können funktionale Beziehungen unter den Nachbarinnen und Nachbarn aufgebaut werden. Mögliche Themen sind (Sperr-) Müll und Mülltrennung oder die Gestaltung und Verschönerung der Gemeinschaftsflächen. Im besten Fall werden alltagsnahe Themen gefunden, die alle betreffen. Über die gemeinsame Bearbeitung können sich Beziehungen unter den Nachbarinnen und Nachbarn entwickeln, die das Zusammenleben in Vielfalt fördern.
Beteiligung der Nachbarschaft
Trotz kreativer und passender Ideen und dem wertvollen Engagement, gilt es eine realistische Einschätzung zu bewahren:
- Man wird (fast) nie alle Nachbarinnen und Nachbarn erreichen können.
- Der Bedarf an gemeinsamen Aktivitäten schwankt in jeder Nachbarschaft. Daher darf man gerade zu Beginn nicht zu viel wollen.
In größeren Wohnanlagen ist der Beteiligungsgrad erfahrungsgemäß geringer als in kleineren Wohnanlagen.
Positive Dynamiken von Nachbarschaftsaktivitäten
Nachbarschaftsaktionen können positive Dynamiken auslösen: das Entdecken von gegenseitigen Unterstützungsmöglichkeiten, der Anstoß zur Eigeninitiative bei anderen,
identitätsstiftende Elemente, eine positive Kultur der Kommunikation und des Ausverhandelns und vieles mehr. Positive Beispiele können und sollen weitergetragen werden. Ein kleiner Bericht in der Gemeindezeitung oder in regionalen Medien kann die Idee des nachbarschaftlichen Engagements weitertragen. Die Unterstützung durch regionale Ansprechpartner in Vereinen, Institutionen oder in der Gemeinde ist hierfür eine wichtige Basis. Sie können motivieren, Wertschätzung weitergeben und Brücken bauen für Finanzierung und Öffentlichkeitsarbeit.
Mehrwert für alle
Eine funktionierende Nachbarschaft nutzt allen, den vor Ort lebenden Menschen, der Hausverwaltung und der Gemeinde. Der integrative Charakter von Nachbarschaften ist eine wichtige Ressource für große und kleine Gemeinden. Zudem besteht die Möglichkeit, Angebote der Gemeinde unbürokratisch und nahe an den Bewohnerinnen und Bewohnern zu präsentieren. Auch für die Hausverwaltung hat es einen Mehrwert, wenn Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner vor Ort ausgemacht werden können. Weiters kann über Nachbarschaftsaktivitäten eine Grundlage geschaffen werden, in der manche Probleme in der Nachbarschaft eigenverantwortlich gelöst werden. Auch die Möglichkeit der Kundenpflege durch kleinere Sponsorleistungen oder Ähnliches ist gegeben.
Möglichkeiten der Organisation
In vielen Nachbarschaften organisieren sich Nachbarinnen und Nachbarn selbst und finden eine Struktur, in der Themen behandelt, Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner vertreten und Ideen für eine gute Nachbarschaft umgesetzt werden. Sie sind organisiert in Siedlungsausschüssen, Interessensgemeinschaften oder Mieterbeiräten. Die Vereinsgründung kann eine Möglichkeit sein um sich zu organisieren, dies ist aber keine Bedingung. Es hat sich gezeigt, dass die Organisationsform – ob Mieterbeirat, Siedlungsausschuss oder Ähnliches – im Wesentlichen keinen Unterschied macht, sondern es darum geht Nachbarschaft an sich zu organisieren. Dies bedeutet Verantwortung zu übernehmen und Initiative zu zeigen. Auch Haussprecher, die als Schnittstelle zur Hausverwaltung auftreten, haben eine besondere Bedeutung für Nachbarschaften.
Für eine organisierte Nachbarschaft ist es wichtig, dass sich eine Kerngruppe engagiert und sich gegenseitig unterstützt. Ein großes Problem sind die Zeitressourcen für regelmäßige Treffen, die Überzeugungsarbeit bei anderen in der Nachbarschaft oder für die Umsetzung der Ideen. Social-Media- Angebote können die Organisation von Nachbarschaften unterstützen, sie sollten aber niemanden von vornherein ausschließen, weil sie oder er im Umgang damit nicht geübt ist.
nächster passender BeitragBereits der Bezug einer neuen Wohnung kann richtungsentscheidend für das Zusammenleben in der Nachbarschaft sein. Gerade in neuen Wohnanlagen können sich Verhaltensweisen von Beginn einspielen, die das nachbarschaftliche Verhältnis belasten können. Im Stress des Umzugs entstehen rasch Missverständnisse, die ohne Aufklärung lange bestehen
bleiben können. Dabei bietet gerade der Einzug auch viele Potenziale, Nachbarschaft zu thematisieren und erste Bekanntschaften zu knüpfen. Der Neubezug ist aufregend, die Motivation für eine Auseinandersetzung mit dem neuen Wohnumfeld ist in dieser Phase noch sehr hoch.
Bei der Wohnungsübergabe durch die Hausverwaltung, stehen die Informationen rund um die Wohnung (Nutzung, Heizung, verwaltungstechnische Fragen etc.) im Vordergrund. Bei der Wohnungsübergabe werden häufig Übergabemappen verwendet, die den Mietvertrag, die Hausordnung, Informationen zum Nutzungsverhalten (Lüften, etc.) enthalten. Die Nachbarschaft ist beim Einzug selbst selten ein Thema.
Broschüre Neue Nachbarschaft
Um von Anfang an auf die neue Nachbarschaft hinzuweisen, wurde eine Broschüre entwickelt, die von Wohnbauträgern und Gemeinden in der Steiermark für die Wohnungsübergabe genutzt werden kann. Sie weist zusätzlich zur Hausordnung auf gemeinsame Regeln und Pflichten hin und gibt Tipps für eine gute Nachbarschaft. Frei nach dem Motto: Sie ziehen nicht nur in eine neue Wohnung, sondern auch in eine neue Nachbarschaft.
Fokusgruppen
In der Entwicklungsphase der Broschüre „Neue Nachbarschaft“ wurden zwei Fokusgruppen mit Bewohnerinnen und Bewohner, die seit einem halben Jahr in einer neuübergebenen Wohnanlage wohnen sowie Expertinnen und Experten aus dem Bereich Wohnen (Hausverwalterinnen und Hausverwalter, Gemeinwesenarbeiterinnen und Gemeinwesenarbeiter, Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverwaltung etc.) durchgeführt. Die Fokusgruppen dienten dazu, die Meinungen und Standpunkte rund um Nachbarschaft, präventive Maßnahmen in Nachbarschaften und zur Idee der Broschüre abzufragen. Die Statements zum Thema „Neue Nachbarschaft“ können wie folgt zusammengefasst werden:
- Der Zeitpunkt der Übergabe der Broschüre ist wesentlich! Gerade beim Einzug gibt es viele technische und logistische Herausforderungen.
- Nachbarschaft hat einen hohen Effekt auf die Wohnzufriedenheit und Lebensqualität.
- Nachbarschaft wird im Wohnumfeld gelebt. Je stärker man sich das Wohnumfeld aneignen kann, desto besser fühlt man sich zu Hause.
- Eine Broschüre kann keine Menschen ersetzten. Kommunikation muss aktiv initiiert werden.
- Bei den Expertinnen und Experten herrscht ein Konsens über die Veränderung von Nachbarschaft über die letzten Jahrzehnte und die Notwendigkeit einer Unterstützung zur Bildung von Nachbarschaftsbeziehungen als positive Ressource in einer Wohnanlage.
- Es besteht ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen urbanen und ländlichen Räumen. Konflikte und Anonymität sind in größeren Städten eher gegeben. Als intervenierende Variable kann hier die Siedlungsgröße fungieren. Konflikte sind in größeren Wohnanlagen eher gegeben. Ab einer bestimmten Größe braucht es neue Organisationsmodelle für Nachbarschaft.
- Die befragten Bewohnerinnen und Bewohner haben kein besonderes Bedürfnis nach einer erweiterten und vertieften Nachbarschaft artikuliert. Zum einen gibt es bei Bewohnerinnen und Bewohnern wenig persönliche Erfahrungen mit ambitionierten Nachbarschaftsprojekten und deswegen wahrscheinlich auch ein geringeres Bedürfnis danach. Zum anderen spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle: Die gegenwärtigen Lebenswelten werden als sehr zeitintensiv wahrgenommen und freie Zeit ist knapp.
- Über die Broschüre hinausgehend braucht es aktives Engagement um Nachbarschaft zu initiieren. Durch Impulsprojekte können eigenständig tragfähige Prozesse entstehen.
- Gelebte Nachbarschaften in Wohnanlagen brauchen auch Räume, in denen die sozialen Beziehungen gelebt werden können. Hier sind ähnliche Bedürfnisse in einer Bewohnerschaft, bei gegebener sozialer Durchmischung, vorteilhaft. Beispielweise sind Kinder oft ein Faktor für Nachbarschaftsbildung.
Für die Bildung von Nachbarschaft und die Aktivierung von Bewohnerinnen und Bewohner sind die Grenzen einer Broschüre schnell erkannt. Für das Jahr 2017 ist die Begleitung einer neuen Wohnanlage in Graz angedacht, bei der Modelle der Einzugsbegleitung weiter erprobt werden können. Das Ziel ist es, einen Wissenstransfer für gemeinnützige Wohnbauträger zu ermöglichen, welche Modelle der Einzugsbegleitung funktionieren und wie sie anwendbar sind.